Blindnutzen verbergen?
Blindnutzen verursacht nicht nur Kosten bei Herstellung oder Wartung. Ein Kunde
kann das Gefühl bekommen,
dass er etwas bezahlen soll, das er nicht braucht und wird vielleicht
abgeschreckt. Dann ist es
sogar gut, wenn der Kunde den Blindnutzen garnicht sieht. Das gilt insbesondere,
wenn ein Feature noch dazu
als
Lernaufwand betrachtet wird. Bei einem Software-Werkzeugkasten wie meineZIELE
besteht also die Kunst darin,
alles zu verbergen, was nicht jeder Kunde braucht, aber es so verfügbar zu
halten, dass der Anwender bei
Bedarf sofort erkennt, dass das benötigte Werkzeug existiert und wo es ist.
Es gibt sogar den auf den ersten Blick geradezu grotesken Fall, dass der
Verkäufer dem Kunden eine echte,
in jedem Fall nützliche Spitzenleistung verschweigt, weil dieses Feature nicht
der eigentliche Kaufgrund ist
und nur ablenken würde. Ein
Echt-Beispiel finden Sie beim Thema Wettbewerbsfaktoren.
Wie stellt man Blindnutzen dar?
Ein Blindnutzen-Diagramm zeigt die Überdeckung der Kundenbedürfnisse und des vom
Produkt gebotenen Nutzens
in einem Spider-Diagramm:
Sowohl Bedürfnisse als auch Nutzenangebot, auch Kundenleistung genannt, würde man
als Punktwerte auf
jeweils eine Achse pro Kaufkriterium abbilden mit den hohen Werten nach außen.
Wenn man die Punkte verbindet,
entstehen so zwei Flächen. Die Abbildung zeigt in Grün
die Bedürfnisse und in Rot den gebotenen Nutzen. Je präziser die beiden Flächen
sich überdecken, desto genau
sind mit dem Angebot die Bedürfnisse des Kunden getroffen. (Es ist sogar so,
dass man Zielgruppen als Kunden
mit gleicher Bedürfnisfläche definiert.)
Im Beispiel ist nun klar zu erkennen: Die gebotene
Maßgenauigkeit ist weit höher als vom Kunden benötigt. Ein klarer Blindnutzen.
Blindnutzen als Chance
Früher, als generell nur der Mann hinterm Lenkrad eines Autos zu sitzen hatte,
hätte man einen
Schminkspiegel auf der
Fahrerseite als Blindnutzen angesehen. Es gab Schminkspiegel tatsächlich nur auf
der Beifahrerseite. Und ich
erinnere mich an eine Zeit, als "Lady"-Modelle auf den Markt kamen, die sich auf
die immer größer werdende
Gruppe
der Fahrerinnen einstellte. Plötzlich wurde ein Spiegel auf der Fahrerseite als
besonderes,
zielgruppenorientiertes Feature in der Werbung präsentiert. Aus einem
Blindnutzen kann tatsächlich eine
Chance werden.
Im dargestellten Blindnutzen-Diagramm ging es um ein Baumaterial, ein
Baustein, der in den meisten gefragten Features in etwa den
Kundenerwartungen entspricht. Doch drei
Bereiche weisen Blindnutzen auf. Dass der Stein besonders exakte Maßtoleranzen
aufweist, wird auf der
Baustelle niemanden interessieren. Aber unnötige Druckfestigkeit kann man als
"willkommene Reserve" verkaufen
und die gute Schalldämmung wird vielleicht zum gefragten Feature, wenn man das
nur dick genug in die Prospekte druckt.
Zu einem vorhandenen Blindnutzen eine Zielgruppe zu suchen und so eine neue
Marktnische zu erschließen, ist jedenfalls eine strategisch günstige
Vorgehensweise.
Blindnutzen durch schlechte Qualität
Ein Unternehmen verkauft vielleicht Wandlampen oder Spiegel und gibt jedem
Produkt einen billigen Schraubenpack für
die Montage bei. Private Endkunden mögen damit zufrieden sein. So mancher
Handwerker wird aber noch nicht
einmal genau hinsehen, sondern den Schraubenpack einfach wegwerfen und
hochwertige Schrauben und Dübel aus der eigenen Werkzeugkiste
verwenden, auf die er sich verlassen kann. Die zu geringe Qualität macht die gut
gemeinten Schraubenpacks zu Blindnutzen.
Wann ist Blindnutzen unvermeidlich?
Bei vielen Produkten lässt sich eine unnötig hohe Leistung einfach nicht
vermeiden. Bei dem Baustein aus dem Beispiel gibt
das Fertigungsverfahren die Eigenschaften vor. Blindnutzen kann also einfach
fertigungsbedingt sein.
Und das Beispiel meineZIELE hat Anwender auf allen Kontinenten und in Branchen
buchstäblich von der Hebamme bis zum Bestatter. Zielgruppenspezifisch Nutzen
wegzulassen,
wäre aufwändig, teuer und
erklärungsbedürftig. Die Sorge, möglicherweise unnötige Funktionen mit zu
erwerben, würde einer anderen Frage
weichen: Welches ist denn nun das genau passende Produkt für mich? Da ist es
sinnvoll und fair, einfach jedem Kunden den vollständigen Baukasten zu geben.
Wir haben mindestens drei Situationen, die Blindnutzen unvermeidlich machen:
- Der Herstellungsprozess
- Weit gefasste Zielgruppen
- Eine Zielgruppe ist klar abgegrenzt, aber zu klein, um einen nicht
benötigten Nutzen einsparen zu können
Absichtlicher Blindnutzen?
Wir kennen Fälle wie die Köllnflocken-Bilderpunkte, die mit dem eigentlichen
Nutzen des Produkts nichts zu tun haben. Solange Kunden nicht das Gefühl
bekommen, für etwas zu bezahlen, das sie nicht wollen, ist das werbewirksam. Und
wie Sie sehen, auch 50 Jahre später noch in Erinnerung.
Ein zweiter Grund für absichtlichen Blindnutzen ist strategischer Natur. Um
seinen technischen Vorsprung zu dokumentieren, seinen Wettbewerbern die Latte
möglichst hoch zu legen und das, was man schon am besten kann, immer weiter
auszubauen, kann auch Blindnutzen gut verwendet werden. Mehr dazu
finden Sie beim Thema "Kano-Diagramm".
Mindestens zwei Situationen können also absichtlichen Blindnutzen rechtfertigen:
- Werbeeffekt für Teilzielgruppe
- Strategischer Vorsprung
Verschwiegener Nutzen
Der Unternehmer Müller, der seinen Kunden eine
Spitzenleistung bei der Holzfeuerung seiner Brennereianlagen regelrecht
verschweigt, ist ein anderer Fall. Das Argument "Der Kunde wäre auch mit einer
schlechteren Feuerungsanlage zufrieden gewesen" gilt nicht wirklich. Denn
letztlich nährt die ausschließliche Verwendung erstklassiger Komponten
sein herausragendes Image. Die Empfehlungen seiner Kunden bringen weit mehr, als
jede kurzsichtige Einsparung. Von Blindnutzen kann daher in solchen Fällen gar
keine Rede sein.
Die Angst, Blindnutzen zu kaufen
Würden Sie ein Auto kaufen, das serienmäßig einen vergoldeten Aschenbecher hat?
Die meisten von uns haben
eine starken
Widerwillen gegen unnützen Kram, den man mitbezahlen soll und der uns nichts
bringt. Wenn man ein Produkt
hat, in dem viele potentielle Kunden irgendwelche Blindnutzen sehen und deshalb
vom Kauf absehen, dann hat
man ein
großes Problem. Der Blindnutzen kostet dann nicht nur Geld für Herstellung und
Wartung etc., sondern er
kostet ganz direkt Kunden.
Eine gute Marketingstrategie muss natürlich solche Situationen entdecken und
darauf reagieren. Auch dazu
nochmal ein Beispiel:
Neue Zielgruppe - neues Produkt
Blindnutzen kann sich allmählich einschleichen. Das Produkt meineZIELE, ein gutes Beispiel, ist nicht nur ein Software-Werkzeug, sondern vermittelt
wertvolles Knowhow und liefert daher Begleitbücher mit, die über die
Nutzungsanleitung weit hinausgehen. Mit der Verfügbarkeit geeigneter Geräte und
veränderte Lesegewohnheiten teilten sich die Kunden allmählich in zwei Gruppen:
Der einen Gruppe war es wichtig, diese Unterlagen weiterhin in Papierform zu erhalten.
Jahr für Jahr immer mehr, vor allem jüngere Kunden, zogen es vor, am Bildschirm zu lesen und noch dazu Geldbeutel und Umwelt zu
schonen. Für diese Gruppe wäre die Lieferung von Papier-Unterlagen ein
Blindnutzen.
Die Lösung liegt in der Aufspaltung der Zielgruppe mit Produktvarianten mit und ohne Papierlieferung.